Interview mit Cornelia Rößler und Dirk Manzke

Ein Gespräch zwischen Cornelia Rößler und Dirk Manzke für das Projekt Tangency-Stadtberührungen, 2012

Die Stadt gilt als gleichsam vierte Haut des siedelnden Menschen.

Da ist zunächst die leibhaftige Haut des menschlichen Körpers und diese wird zum Schutz umgeben von unserer Kleidung, vom Wohnraum, vom Ort und schließlich der Gesellschaft. Du beschäftigst Dich künstlerisch mit der ersten Haut, die des Leibes. Warum?

 

Fotografie und Video sind heute ein einfaches und vertrautes Medium geworden. Ich versuche, den Menschen mit Foto und Video zu begegnen. Ich suche das unmittelbare Gespräch. Ich hoffe immer wieder auf ein Zusammentreffen. Ich frage die Menschen, ob ich ein Stück ihrer Haut fotografieren darf. Dadurch ist ein Anlass gegeben, aufeinander zuzugehen. Die Haut bildet alles ab. Sie ist eine uns umgebende, äußere Hülle, die gleichsam unser Leben dokumentiert. Diese Hülle nehmen wir oft nicht so bewusst wahr wie das Gesicht. Jedoch auch die Haut gleicht bei genauerem Betrachten einem Porträt. In unseren Regionen aber sind wir wegen der klimatischen Bedingungen wie Regen und Kälte überwiegend körperlich sehr geschlossen bekleidet. Dadurch unterliegt unsere Haut nicht immer der ihr zukommenden Aufmerksamkeit. Als fotografische Idee gibt die Haut zudem eine gewisse Anonymität ab, mit der sich dann sehr gut künstlerisch arbeiten lässt und die angesprochenen Menschen haben schnell Vertrauen für ein Foto und für ein Gespräch.

 

Selten wird uns bewusst, wie wir uns leibhaftig im Raum der Stadt bewegen, wie wir körperlich und sinnlich Kontakt aufnehmen mit den Materialien und Oberflächen, den Geräuschen und Gerüchen von Stadt, Architektur und Freiraum. Warum ist das so?

 

Die Leute sind im alltäglichen Geschehen, in dem, was sie persönlich bewegt und beschäftigt, oft unbewusst mit dem Umfeld. Sie sind zum Beispiel jeden Tag am Rosenplatz und kennen dort vieles, manche sogar alles. So werden eher die Dinge bemerkt, die neu sind und deshalb anregen oder die eben stören. Mein Blick auf den Rosenplatz kommt von außen. So kann ich manches anders aufspüren. Wenn ich aber länger hier wäre, würde ich den Platz auch in der Gewohnheit wahrnehmen. Erstaunlich bleibt, wie sehr uns trotzdem unsere Umgebung prägt. Viele Menschen halten an dem fest, was sie kennen und haben. Es gibt eine Angst, wenigstens ein Misstrauen davor, sich zu verändern. So wird dasselbe Umfeld auch immer selbstverständlicher und wird somit immer selbstverständlicher, oft auch immer weniger wahrgenommen.

 

 

Könntest Du Dir ein methodisch verändertes Bewusstwerden über das Verhältnis von Leib und Stadt vorstellen? Etwa eines, bei dem die Wirkungen besonnener vom Leib aus geplant und gestaltet werden?

 

Das wäre ein interessanter psychologischer Zugang zur Planung und Gestaltung von Stadtraum. Du meinst also nicht nur die klassischen Zugänge zu bestimmten Materialwirkungen oder Konstruktionen, denn das wäre ja auch sehr individuell. Ich denke, man müßte die Leute mehr einbinden, um so das Umfeld an ihr Leben anzupassen. Die Menschen müssen direkt in den Prozess der Planung und womöglich auch des Bauens einbezogen sein. Umgekehrt müssen sie es dann aber auch wollen. Die künftigen Benutzer sollten vorher Interesse an der Planung haben und nicht nur auf Grund bestimmter Erfahrungen, die sie an dem einen oder anderen Ort machen, hinterher. Es brauchte deshalb eine Planung, die in einem geduldigen Prozess auch Formen von Zugeständnissen an die Benutzer ermöglicht. Es erscheint mir schade, wenn Planung nur ein geschlossenes Konzept anbietet. Planung sollte gerade bei Plätzen und öffentlichen Räumen nicht darübergestülpt werden. Dann ließen sich beispielsweise für den Rosenplatz Fragen diskutieren wie eine 30er-Zone. Warum sollte die Frage Platz nicht auch für die Autos gelten? Oder ich denke an einen wirklich benutzbaren Schäferbrunnen. An den entscheidenden Berührungspunkten zwischen Stadt und Leib müssen die Objekte so etwas wie Schönheit verliehen bekommen. Das kann nur in einem bewussten Prozess der Kommunikation entstehen.

 

 

 

In Deine Arbeit dringt auch die soziale Membran ein, der unmittelbare Kontakt, die Berührung mit Menschen vor Ort. Du sprichst gern und offensiv Leute an, für einen Moment mit Dir ins Gespräch zu kommen und sogar mit Dir zu arbeiten. Was machst Du da konkret?

 

Natürlich interessiert mich immer wieder der ganze Mensch, die ganze Person. Ich suche das Gespräch. Es kann mir deshalb nicht nur um die Haut gehen, die ich fotografiere. Als zweites Material meiner Arbeit speichere ich in mir Interviews und Begegnungen mit Menschen ab. Die fotografierte Haut und die eingespeicherte Geschichte bilden eine entscheidende Grundlage für meine Hautziegel. So bekommt mein bildnerisches Objekt Hintergrund und Inhalt. Es wird mehrschichtig. Im Gespräch lässt sich die Gesellschaft von Menschen kennenlernen, die zum Beispiel hier am Platz lebt. Ich erfahre, was sie denken und welche Schicksale sich hier versammeln. Nicht immer stelle ich konkrete Fragen, denn oft reden die Leute von selbst, möchten etwas mitteilen. Es gibt aber auch neutralere Menschen, die reservierter reagieren. Es ist wirklich sehr unterschiedlich. So entstehen vielfältige Differenzen in den Gesprächen und so mache ich entsprechend weit gefächerte Erfahrungen.

 

 

Wie ist das Konzept „Hautziegel“ zu verstehen, wenn jeder Mensch ein Stück Haut zeigt und für Dich dahinter vielfältige Geschichten existieren, Lebensgeschichten, Begegnungsmomente, aber auch Skepsis, Ablehnung, Misstrauen?

 

Es entstehen natürlich immer Einzelfotos und jedes Foto steht für sich. Trotzdem setze ich es zu einem Gesamtbild zusammen, ohne eine Collage zu machen. Das Grundraster ist das alte Bild von der Ziegelwand, die vielen Menschen vertraut ist. Man kennt Ziegelfassaden, Ziegelmauern, aber auch Bänke, die aus Ziegel gemauert worden sind. Ziegel haben eine lange Tradition und werden sehr vielfältig und variabel verwendet. In dieses vorgeprägte Raster passe ich meine Hautfotos ein. So zeige ich mit meinen künstlerischen Mitteln eine Gesellschaft in ihrer Geschichte und ein Stück Leben, hinterlegt mit menschlichen Motiven von Haut. So gibt es auch eine Form von Berührung zwischen der Stadt und dem Leib. Die Haut ist die unmittelbarste Schicht zu Wahrnehmung von leibhaftiger Berührung. Aber ich suche die Menschen auch durch Gespräche zu berühren. Die Haut dient uns als Schutz, doch wir bleiben verletzlich. Wenn wir an unsere Haut denken, spielt auch immer eine Form, von Intimität mit rein. Und doch komme ich den Menschen etwas näher. Und am Rosenplatz habe ich da eine recht gute Erfahrung gemacht. Es funktioniert. Die Menschen wollen sich mitteilen. Und während des Fotografierens lachen wir oft gemeinsam. Auch das ist ganz wichtig im Wust des Alltags.

 

 

Ziegel sind ein hartes, jedoch vertrautes Material. Und unsere Haut ist weich und vergänglich. Sie kann schnell austrocknen. Welche Motive siehst Du, diese beiden durchaus verletzlichen Materien ineinander zu verschränken?

 

Der Ziegel gleicht einer gebauten Hülle. So ist auch er ein Sinnbild für unseren Bedarf nach einer Haut als Schutz. Tatsächlich einer harten Haut, die allerdings eine warme Ausstrahlung hat. Dem Material Stein kommt in der Form eines Ziegels eine besonders lange Geschichte zu. Er ist ein Material, das lebt und es hat ein Gedächtnis. Der Ziegel gibt uns einen festen, stabilen Schutz. Deshalb haben wir Menschen ihn entwickelt. Der Ziegel ist ein Sinnbild für unseren Grundbedarf nach einer Wohnung als leibhaftige Schutzhülle vor Wind und Wetter, aber auch vor der alltäglichen und anstrengenden Gesellschaft, zu der wir ab und an auch Abstand brauchen. Die menschliche Haut ist dagegen ein Sinnbild für unseren schutzbedürftigen Leib. Sie umschließt unsere Organe, unser Nervensystem, sogar in bestimmter Weise unseren Charakter. Und das alles ist uns tatsächlich sehr vertraut, wenngleich wir es uns selten bewusst machen. Wenn ich das zusammen denke und auf dieses Projekt Tangency beziehe, dass wir Menschen die Stadt brauchen und suchen. Sie ist entstanden aus einem großen, offensichtlich auf Dauer angelegten Schutzbedürfnis, bei dem wir im Grunde unseren verletzlichen Körper baulich erweitert haben.

 

Dankeschön Cornelia Rößler, Danke für das interessante Gespräch.